Erfahrungsbericht von Ruth Franke (03/1999)

Als bei mir vor 17 Jahren - ich war damals 50 Jahre alt - die Diagnose "Sjögren-Syndrom" gestellt wurde, ahnte ich nicht, was auf mich zukam. Ich war zunächst einmal froh, dass man überhaupt eine Ursache meiner vielen Beschwerden herausgefunden hatte, wegen derer ich jahrelang eine Odysee durch Arztpraxen und Kliniken durchlaufen hatte.

Angefangen hatte es schon in der Jugend mit schneller Ermüdbarkreit der Augen beim Lesen und Schreiben. Es folgten immer wieder Magenschleimhaut- und Halsentzündungen, wegen der ständigen Probleme wurden mir schließlich (unnötigerweise) Blinddarm und Mandeln entfernt, doch die Beschwerden blieben. Gelenkt-, Wirbelsäulen-, Muskel- und Sehnenschmerzen, zum Teil mit Schwellungen, folgten, und man schickte mich zu Kur. Als auch die Fingergelenke anschwollen, überwies mich mein damaliger Hausarzt, der als einziger meine Beschwerden ernst nahm, zur stationären Untersuchung in ein Rheumakrankenhaus. Hier entließ man mich nach vier Wochen ohne Diagnose.

Die Augenentzündungen nahmen zu, die Mundtrockenheit wurde spürbar, und als auch die Ohrspeicheldrüsen anschwollen, überwies mach mein Hausarzt mit dem Verdacht auf Sjögren-Syndrom wieder in die Rheumaklinik.

Dort bestätigte man die Diagnose, stellte mich auf Imurek und Cortision ein und erordnete mir Augentropfen und Magenschutzmittel. Über die Medikamente wurde ich informiert, über die Krankheit sagte man mir nur, dass sie "sehr unangenehm" sei, aber meist nicht lebensgefährlich.

Möglichst viel erfahren

Und nun begann mein langer Lernprozess. Ich wollte so viel wie möglich über das Sjögren-Syndrom erfahren (was sich als äußerst schwierig erwies), um jedes neue Symptom richtig einschätzen zu können. Die Vielschichtigkeit meiner Krankheit lernte ich jedoch erst im Laufe der Jahre kennen. Sie entwickelte sich zunächst langsam und ich konnte mein normales Lebenweitgehend fortführen und auch reisen. Nur das Joggen und längere Wandern musste ich wegen Knie- und Fußbeschwerden aufgeben sowie das Saunabaden (wegen der Trockeneheit).

Die Ohrspeicheldrüsen schwollen jedoch immer häufiger an. Aus dem Speiseplan wurde immer mehr gestrichen: Kaffee und Alkohol bekamen mir schon lange nicht mehr, der Magen vertrug nur noch leichte Schonkost. Die verschriebenen säurebindenden Magenmittel machten alles nur schlimmer, H2-Blocker verursachten schwere Magen-Darm-Koliken und brachten mir sogar einen Krankenhausaufenthalt wegen Verdacht auf Pankreatitis ein. Als ich einmal las, dass bei einem Sjögren-Syndrom meist zu wenig Magensäure vorhanden ist, wurde mir der Zusammenhang klar. Ich bekam dann Magen- und Pankreasenzyme, die die Verauung besser regelten und schützte meinen Magen mit natürlichen Mitteln wie Azupanthenol und Retterspitz.

Ein Jahr nach Beginn der Imurek-Therapie machte ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit einer Gürtelrose. Weitere sollten folgen und schmerzhafte Neuralgien hinterlassen. Eine zunächst leichte - und nicht als solche erkannte - Trigeminus-Neuropathie kostete mich mehrere Zähne. Richtig aktiv wurde der Nerv dann nach einem (nicht rechtzeitig erkannten) Zoster oticus (Gürtelrose hinter dem Ohr), meldete sich periodisch wieder und macht seither jeden Zahnarztbesuch zum Risiko. Die komplizierte Operation eines Weisheitszahnes vor fünf Jahren war ein schmerzhafter Höhepunkt. Heute weiß ich, dass man mit chirurgischen Eingriffen im Zahnbereich beim Sjögren-Syndrom sehr vorsichtig sein muss. Die Zähne mit ihrer fortschreitenden Karies sind (durch den fehlenden Speichel) überhaupt ein Problem. Keine Wurzelbehandlung hilft ei mir; sie griggert nur den Trigeminus-Nerv an. Hier erfuhr ich wieder einmal, wie notwendig es für einen Sjögren-Patienten ist Fachärzte zu finden, die für diese wenig bekannte Krankheit Verständnis und Fachwissen haben oder bereit sind sich zu informieren, weil sich sonst die Fehldiagnosen und schmerzhaften Erfahrungen häufen. Am ehesten findet man sie neben Rheumatologen unter den Augen- und HNO-Ärzten, hier habe ich sehr viel verständnisvolle Hilfe erfahren. Ein guter Hausarzt, der die Krankheitsgeschichte über Jahre verfolgt hat, ist besonders wichtig.

Alle Schleimhäute angegriffen

Nie hatte ich zuvor geahnt, wo der Körper überall Schleimhäute besitzt, die sich beim Sjögren-Syndrom häufig entzünden können: Mund, Speiseröhre, Magen, Darm, Blase, Scheide, Bronchien, Kiefern- und Stirnhöhle. Das sind nur einige Beispiele, mit denen ich so nach und nach konfrontiert wurde. Hier muss ich immer wieder darauf hinweisen, dass ich nicht in jedem Fall Antibiotika nehmen konnte, da ich sonst der Folgeschäden (u.a. Darmpilze, Magenprobleme) gar nicht mehr Herr geworden wäre. Meine Pollenallergie kann nicht therapiert werden, weil die Medikamente zusätzlich austrocknen.

Nach und nach merkte ich auch eine zunehmende Medikamenten-Überempfindlichkeit. Auf Antirheumatika bekam ich Ausschlag und Magenbeschwerden, so dass die Behandlung der Gelenk- und Muskelbeschwerden (besonders unangenehm: Brust- und Rippenschmerzen) schwieriger wurde. Man verschrieb mir Antidepressiva und Neuroleptika, die ich nicht vertrug. Nervenblockaden brachten keine Besserung. Opioide sind bei Trigeminus.- und Zoster-Neuralgien die einzige Möglichkeit um den Schmerz zu dämpfen, doch kann ich sie nur kurzfristig einsetzen. Zuletzt versuchte ich es mit Akupunktur, die mir meine Krankenkasse leider nur sporadisch bezuschusst. Akupunktur wurde bald das einzige Mittel, das meine Beschwerden etwas lindert und keine Nebenwirkungen verursacht. Seit der fünften Gürtelrose, die mit Bewegungseinschränkung im linken Arm verbunden war, versuche ich ohne Imurek auszukommen.

Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Infektanfälligkeit

Im Laufe der Jahre beeinträchtigte die Krankheit immer mehr mein Allgemeinbefinden und meine Aktivitäten. Die Müdigkeit und Kraftlosigkeit (auch in den Gelenken) nahm zu, ebenso die Infektanfälligkeit. Ich sah meine Enkelkinder wegen der Ansteckungsgefahr seltener, da selbst banale Infekte bei mir einen komplizierten und atypischen Verlauf nahmen. Augen- und Mundtrockenheit wurden schlimmer; nach einer Netzhautblutung am Auge musste ich das Lesen von Büchern weitgehend aufgeben (Fernsehen sowieso, aber das macht mir weniger aus) und ich schränkte meine Kontakte sehr ein, weil langes Sprechen unmöglich und die Belastungschwelle niedriger wurde, vor allem wenn der Trigeminus-Nerv aktiv ist. Am schwierigsten aber erwies es sich, bei meiner Umwelt - und auch bei den meisten Ärzten - Verständnis für meine Probleme zu wecken. Wenn mann - wie ich - ein primäres Sjögren-Syndrom hat, also keine Begleiterkrankung, sieht man meistens nicht krank aus (bei einem Schub mit gerötetem Gesicht sogar recht "gesund"!).

Ständiges Bedürfnis nach Feuchtigkeit

Das ständige Bedürfnis nach Feuchtigkeit wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus und ist von der Umwelt nicht nachvollziehbar. Über Regen freue ich mich, Wind, Sonne und trockenes Wetter vertrage ich schlecht, insbesondere trockene Kälte. Überhitzte Räume und trockene Heizungsluft schaden mir, ebenso Klimaanlagen, Ventilatoren, Zigarettenrauch und auch Flugreisen. Ich helfe mir daheim mit Dampf-Luftbefeuchtern, die ich auch in den Urlaub mitnehme. Im Urlaub, meist am Meer, wohne ich inspeziell ausgesuchten Nichtraucher-Ferienwohnungen mit wenig Holz und schadstoffarmem Raumklima, ohne Elektro- und Holzheizung. An windigen Tagen trage ich eine abdichtende Skibrille, was außerhalb des Winters etwas abenteuerlich aussieht. Dass man bei solchen Empfindlichkeiten leicht als "Minose" gilt udn auf Unverständnis stößt, liegt auf der Hand. Da man nur von wenigen Menschen eine so weitgehende Rücksichtnahme erwarten kann (sie ist kaum möglich), vermeidet man es lieber sich diesen Schwierigkeiten auszusetzen und es hinterher zu büßen. Ich lebe daher ziemlich zurückgezogen und besuche auchkeine Veranstaltungen, Kurse oder Zusammenkünfte mehr.

In letzter Zeit habe ich jedoch die "Flucht nach vorn" angetreten, weil ich eingesehen habe, dass eine Isolation niemanden nützt und es vielmehr gilt, das Sjögren-Syndrom und seine Auswirkungen bekannter zu machen. Ich betreibe daher in privatem Kreise und bei Ärzten Informationsarbeit und konnte auch schon einigen Mitbetroffenen hilfreiche Tips geben. Leider reicht meine Kraft nicht aus um mehr zu tun.

Neue Lieblingsbeschäftigungen finden

Ich bin jetzt 67 Jahre alt und habe mich mit meiner Krankheit arrangiert. Da ich inzwischen - u.a. durch die medizinische Datenbank MedLine, auf die man auch als Laie per Internet kostenlosen Zugriff hat - gut informiert bin (leider zu spät, um irreparable Schäden zu verhindern), kann ich, mit vielen Hilfsmitteln, einigermaßen mit meiner Krankheit umgehen. Mit Gymnastik, Yoga, Schwimmen (wirkt auch befeuchtend!), Radfahren und Heimtrainer halte ich mich an guten Tagen ein wenig fit. Ich habe mir meine positive Lebenseinstellung bewahrt und Kraft durch Energie ersetzt. Da ich meine Lieblingsbeschäftigung, Lesen und Schreiben, nur noch eingeschränkt ausüben kann, höre ich viel Radio, literarische Kassetten und CDs, habe mich auf Lyrik spezialisiert und beschäftige mich mit der kürzesten Gedichtsform, dem japanischen Haiku, ebenso gern wie mit Ikebana.

Über das Internet habe ich - mit Hilfe meiner Schwester - Kontakt zu einer amerikanischen Selbsthilfe-Gruppe von Sjögren-Patienten und Ärzten, die einen sehr lebendigen Erfahrungsaustausch haben. In dem reichhaltigen Archiv findet sich fast jedes Symptom dieser Krankheit, man bekommt viele gute Tipps und fühlt sich nicht allein mit seinen Problemen. Aus den USA kam auch die Anregung, zur Stimulation des Speichel- und Tränenflusses Pilocarpin zu nehmen, was mir sehr hilft. Es laufen einige Versuche mit neuen Medikamenten und weil die Krankheit an Häufigkeit zunimmt besteht die Hoffnung, dass sie nicht länger Stiefkind der medizinischen und pharmazeutischen Forschung ist.

Ich wünsche mir für alle Mitbetroffene, dass es bald auch in Deutschland eine Selbsthilfegruppe gibt, die diese gar nicht so seltene Krankheit bekannter macht.

Ganz wichtig ist eine gute Information der Patienten, damit sie die Symptrome richtig einschätzen und den Ärzten schildern können, denn das Sjögren-Syndrom ist eine schwierig zu behandelnde Krankheit, die sich bei jedem Patienten anders äußert. Man muß sich zum Experten seiner Krankheit machen und Ärzte suchen, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihren Patienten praktizieren.