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Vortrag von Prof. Dr. med. Klaus Krüger, München, 2004

Das Sjögren-Syndrom

Das Sjögren-Syndrom (SS) ist eine zur Gruppe der systemischen Bindegewebs-Erkrankungen (Kollagenosen) gehörende Erkrankung des Immunsystems mit unbekannter Ursache. Frauen sind davon neunmal häufiger als Männer betroffen.


Das SS kommt als eigenständige Erkrankung („primäres SS") oder auch als Begleitgeschehen bei anderen Erkrankungen des Immunsystems wie z.B.der chronischen Polyarthritis oder dem Lupus erythematodes vor („sekundäres SS"). Innerhalb der Gruppe der rheumatischen Immunerkrankungen ist es nach der chronischen Polyarthritis am zweithäufigsten.

Klinisch ist das SS vor allem durch einen entzündlichen Befall der Tränen- und Speicheldrüsen gekennzeichnet, der zu den häufigsten und meist frühzeitig vorhandenen Symptomen Mund- und Augentrockenheit führt, im weiteren Verlauf jedoch auch eine „Austrocknung" weiterer Schleimhautbereiche (z.B. Geschlechtsorgane, Atemwege) und der Haut bewirken kann. Oft jedoch stellt es keine reine Erkrankung der Drüsen, sondern auch des gesamten Organismus dar, die zu Allgemeinsymptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder Fieber führt und mit unterschiedlicher Häufigkeit Schwellungen der Speicheldrüsen, eine Beteiligung der Gelenke und Muskeln (meist in Form von Schmerzen), aber auch verschiedener innerer Organe sowie Entzündungen der Blutgefäße („Vaskulitis") mit sich bringt - eine Übersicht zu Symptomen und Häufigkeit gibt Tabelle 1.

Die chronische Störung der Drüsenfunktion führt vor allem im Bereich des Mundes und der Augen zu massiven Beeinträchtigungen und unangenehmen Folgeerscheinungen. Hierzu zählen z.B. chronische Entzündungen und häufige Infektionen im Bereich der Mundhöhle und der Bindehäute, Karies und Paradontose, Mundgeruch, Schwierigkeiten beim Schlucken fester und trockener Speisen, Geschmacks-und auch Geruchsstörung, Heiserkeit und später ständige Atemwegsinfekte.

In selteneren Fällen (< 8 %) kann sich im Verlauf des Syndroms als Komplikation ein Tumor der Lymphdrüsen („Lymphom") entwickeln. Da er sich fast immer im Bereich der Speicheldrüsen oder Halslympknoten zuerst bemerkbar macht, sollte auf anhaltende Vergrößerung oder gar Größenzunahme dieser Organe geachtet und im Zweifelsfall der betreuende Spezialist aufgesucht werden - diese Komplikation ist mittels Kernspintomographie und Untersuchung einer Gewebsprobe rasch zu diagnostizieren bzw. auszuschließen!

Wie kann die Krankheit erkannt werden (diagnostische Kriterien)? 
 
Leider wird die Diagnose eines SS meist erst mit mehrjähriger Verzögerung gestellt, weil die fast immer frühzeitig vorhandenen Symptome Augen- und Mundtrockenheit oft im Frühstadium dem Arzt nicht berichtet oder von diesem nicht richtig gedeutet werden. Neben den typischen klinischen Befunden (s.oben) ist zunächst mit einfachen Funktionstests eine mangelhafte Tränen- bzw.
Speichelproduktion nachweisbar.

Genaue Untersuchungen der Speicheldrüsen mittels bildgebender Verfahren mit Kontrastmittel (Szintigraphie, Sialographie, Kernspintomographie) führen dann zur Verdachts-Diagnose, eine Probeentnahme aus der Lippeninnenseite mit mikroskopischer Untersuchung von Drüsengewebe schließlich meist zum Beweis (oder Ausschluss). Auch Laboruntersuchungen leisten Hilfestellung, können aber allein die Diagnose nicht sichern. Nützlich ist hier vor allem der immunologische Nachweis von bestimmten Antikörpern, die bei vielen - aber nicht allen! - SS-Patienten im Blut zu finden sind (SS-A- und SS-B-Antikörper).

Es ist allerdings unbedingt zu beachten, dass es viele andere mögliche Ursachen für Mund- und Augentrockenheit gibt. Andere Erkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit") oder Fibromyalgie-Syndrom, aber auch Viruserkrankungen (z.B. die virale Leberentzündung/Gelbsucht) führen nicht selten zu ähnlichen Folgesymptomen, außerdem führen eine Reihe von Medikamenten (z.B. gegen Bluthochdruck und psychische Erkrankungen) zur Mundtrockenheit. Es ist auch zu beachten, dass mit zunehmendem Alter die Drüsenproduktion auch bei Gesunden nachlassen kann. Auch Speicheldrüsenschwellungen können zahlreiche andere Ursachen haben. All dies muss im Rahmen der Abklärung als Ursache ausgeschlossen werden, eine gründliche fachärztliche Untersuchung durch den Augenarzt und HNO-Arzt ist hierfür zusätzlich zu den obengenannten Maßnahmen sinnvoll.

Wie kann das Sjögren-Syndrom behandelt werden? 
 
Auch wenn die Erkrankung bis heute nicht heilbar ist, und es keine Medikamente gibt, welche sämtliche Symptome erfolgreich bekämpfen, existieren doch eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten. Darüber hinaus gibt es Forschungsansätze, die zur Hoffnung auf die nähere Zukunft Anlass geben.

Zwei verschiedene Behandlungsansätze sind gegenwärtig zu unterscheiden: Trockenheitssymptome werden in erster Linie durch Ersatzstoffe wie künstliche Tränen und Speichel oder Nasen-Gel, im Fall der Mundtrockenheit zudem durch ausreichende Flüssigkeitszufuhr behandelt. Verschiedene Tränen- und Speichelersatzstoffe sind erhältlich, es muss individuell ausgetestet werden, welcher für den einzelnen Patienten jeweils der optimale ist.

Dagegen stehen für die systemischen, d.h. den Gesamtorganismus betreffenden Krankheitsmanifestationen eine Reihe von Medikamenten mit jeweils bestimmten Einsatzbereichen zur Verfügung (Übersicht siehe Tabelle 2). Diese Medikamente haben jedoch kaum Einfluss auf die Trockenheitssymptome, sind also entbehrlich, wenn nur diese Symptome vorhanden sind!

In neuerer Zeit wurden in den USA mit Erfolg Substanzen wie Pilocarpin und Cevimelin getestet, die durch Stimulation der Drüsen eine vermehrte Flüssigkeitsproduktion bewirken. Von diesen Substanzen ist in Deutschland seit 2000 orales Pilocarpin (Handelsname: Salagen) zugelassen und damit verschreibbar.

Allgemeine Tipps zur besseren Krankheitsbewältigung

° Auf intensive Mundpflege (milde Zahnpasta verwenden!) und sorgfältige Kariesprophylaxe (Vermeidung von zuviel Zucker, Fluorgabe), außerdem auf häufige zahnärztliche Kontrollen ist zu achten!

° Anwendung von Kauhilfen (z.B.zuckerfreie Kaugummi) stimuliert die Speicheldrüsen.

° Die erhöhte Infektionsgefahr beachten - im Zweifelsfall umgehende Facharzt-Konsultation (und ggf. Antibiotika-Einsatz) sinnvoll! Auch plötzliches schmerzhaftes Anschwellen der Speicheldrüse spricht für eine infektiöse Komplikation.

° Ausreichende Luftbefeuchtung sowie Vermeidung von ungünstigen Umgebungsbedingungen (Klimaanlage, Rauchen) beachten, bei starkem Wind Brille mit seitlichem Schutz verwenden.

° Nächtliche Anwendung von Augengel oder -salbe anstatt künstlichen Tränen ist mit deutlich verlängerter Wirkung (und damit ungestörterem Schlaf) verbunden.

° Bei Beteiligung der Nasenschleimhaut ausreichende Verwendung von Nasengel, um der obligaten Borkenbildung entgegenzuarbeiten.

° Eine „bleierne"Müdigkeit ist für das SS typisch - gönnen Sie sich so viele Ruhepausen wie möglich (Nachmittagsschlaf!).

° Erfahrungsaustausch mit Leidensgefährten nutzen (Selbsthilfe s.unten!).

Hilfe durch Selbsthilfe

Sjögren-Patienten-Organisationen gibt es mittlerweile in einer Reihe von Ländern (USA, Kanada, Japan, Schweden, Holland, GB), was aber dem deutschen Patienten nur wenig hilft. Seit kurzem wurden nun auch in Deutschland unter dem Dach der Rheuma-Liga die ersten Sjögren-Selbsthilfe-Gruppen gegründet. Nähere Einzelheiten hierzu sind für Interessierte bei der Rheuma-Liga Baden-Württemberg zu erfragen (Fax 07251-916262), außerdem im Internet über www.sjoegren-erkrankung.de und www.sjoegren-syndrom.de .

Darüberhinaus ist die Herausgabe eines deutschsprachigen Patienten-Lehrbuches zum Thema in Vorbereitung. Da dieses Projekt noch Zeit benötigt, ist vorerst für Englischsprechende auf den amerikanischen Patientenführer „The new Sjögren's syndrome handbook" hinzuweisen, erhältlich bei der SS-Foundation USA (Internet: www.sjogrens.org ).

Anschrift des Verfassers:

Prof.Dr.Klaus Krüger
St.Bonifatius-Str. 5 
81541 München
Tel. 089-6914222
e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Merkblatt - Sjögren-Syndrom - neu überarbeitet von Prof. Dr. Klaus Krüger, können über die jeweiligen Landesverbände der Rheuma-Liga bestellt werden.

Tab. 1: Manifestationen des Sjögren-Syndroms

Häufiger vorkommend



° Augentrockenheit/Bindehaut-
entzündung

° Mundtrockenheit /Entzündung der Mundschleimhaut

° Schwellung der Speicheldrüsen

° Gelenkschmerzen / Gelenkentzündung

° Starke Müdigkeit

° Schwellungen der Hals-Lymphknoten

° „Absterben" der Finger (Raynaud-Syndrom)

° Neigung zur erhöhten Körpertemperatur


Bei längerem Verlauf:

° Trockenheit der weiteren Schleimhäute

° Trockenheit der Haut

° Atemwegsinfekte

° Chronische Magenschleimhautentzündung

 

Seltener vorkommend

 

° Beteiligung der Lunge, Niere

° Milzvergrößerung

° Beteiligung des zentralen und peripheren Nervensystems

° Entzündung der Blutgefäße mit Hautrötung / Ausschlag

° Muskelschmerzen / Muskelentzündung

° „Dickflüssigkeit" des Blutes durch Eiweißkörper (Gefahr von Gefäßverstopfung)

° Entwicklung eines Lymphdrüsentumors (Lymphom)

 

 

Tab. 2: Medikamentöse Behandlung des Sjögren-Syndroms (mit Indikationen)

Gelenkschmerzen

 

Gelenkentzündung

 

Muskelschmerzen

 

Nichtsteroidale Antiphlogistika (leicht)

 

Corticoide (stark)

 

Resochin u.ä. (Langzeit-Basistherapie)

 

Speicheldrüsenschwellung (wenn Infektion

 

ausgeschlossen)

 

Nichtsteroidale Antiphlogistika (leicht)

 

Corticoide (stark)

 

Organbefall (z.B. Nervensystem, Lunge) - Gefäßentzündung

 

Corticoide (Kurzzeit)

 

Immunsuppressiva (chronisch)

 

Fieber (ausgeprägte Schübe, infektiöse Ursache muß ausgeschlossen sein!)

 

Corticoide

 

 

Raynaud-Syndrom (Durchblutungsstörung der Finger / Zehen)

 

Gefäßerweiternde Substanzen, z.B. Nifedipin (Adalat)

 

Trockenheitssymptome

 

Flüssigkeitsersatz; Gel für die Augen/Nase; stimulierende Substanzen (Pilocarpin, s.Text)