Vortrag von Prof. Dr. med. Orlando Guntinas-Lichius, 2006
 

Patienten mit Sjögren-Syndrom sollten durch ihren Hausarzt und spezialisierte Internisten betreut werden, doch suchen die Patienten nicht selten den HNO-Arzt wegen Beschwerden auf dem Gebiet der HNO-Heilkunde auf. Möglicherweise handelt es sich dabei auch um die ersten Symptome der Erkrankung. In diesen Fällen ist es wichtig, dass der HNO-Arzt die Grunderkrankung erkennt und den Patienten an einen Spezialisten, in der Regel an einen internistischen Rheumatologen überweist. Daneben gibt es einige spezielle Aspekte der Erkrankung, die vorrangig das Fachgebiet des HNO-Arztes betreffen. Diese Aspekte sollen im Folgenden dargestellt werden.

 
Mundtrockenheit

Die Mundtrockenheit ist eine führende Beschwerde der Patienten mit Sjögren-Syndrom. Ursache ist der chronische Umbau der Speicheldrüsen, der zu einer Verminderung der Speichelproduktion oder letztendlich zum Versiegen der Speichelproduktion führt. Stellt sich beim HNO-Arzt ein Patient mit Mundtrockenheit vor, so ist es wichtig bei der Ursachenforschung auch an das Sjögren-Syndrom zu denken und die entsprechende Diagnostik einzuleiten.
Auf einen Pilzbefall in der Mundhöhle ist zu achten, da insbesondere das Risiko für einen Befall mit Candida-Pilzen bei Patienten mit Sjögren-Syndrom erhöht ist. Bei Zeichen für Mundschleimhautschäden und Zahnschäden ist ein Zahnarzt hinzuzuziehen. In Absprache mit dem behandelnden Rheumatologen ist die Behandlung der Mundtrockenheit zu führen. Initial sollte die Restfunktion der Kopfspeicheldrüsen, zum Beispiel mit einer Technetium-Speicheldrüsen-Szintigraphie, getestet werden. Ist nämlich noch eine Restfunktion vorhanden, macht es Sinn, die Speichelproduktion anzuregen, zum Beispiel medikamentös mit Pilocarpintee oder Salagen-Tabletten oder durch Lutschtabletten und Kaugummis. Ist die Speichelproduktion aber ganz erloschen, kann dem Patienten mit Speichelersatzlösungen geholfen werden. Bei schmerzhaften Mundschleimhautentzündungen aufgrund der Mundtrockenheit sollten betäubende Mundspüllösungen verordnet werden.

 Unterlippenbiopsie

Patienten mit Sjögren-Syndrom zeigen typische entzündliche Veränderungen in den Speicheldrüsen. Diese Veränderungen können helfen die Diagnose eines Sjögren-Syndroms zu stellen, insbesondere wenn andere richtungweisende Symptome fehlen oder sich die typischen Antikörper (anti-SS-A/SS-B) nicht nachweisen lassen. Für eine Gewebsuntersuchung am einfachsten zugängig sind die kleinen Speicheldrüsen der Unterlippe. Diese sitzen unter der Schleimhaut auf der Innenseite der Unterlippe. Klappt man die Unterlippe nach außen, so erahnt man unter der Schleimhaut die kleinen Speicheldrüsen als weißliche Strukturen, die wie kleine Perlen aussehen.
Die Biopsie sollte von einem HNO-Arzt vorgenommen werden, der mit der Erkrankung und den Kriterien zur Beurteilung der kleinen Speicheldrüsen vertraut ist: Mindestens fünf kleine Speicheldrüsen müssen für die Gewebsuntersuchung des Pathologen entnommen werden. Die Entnahme erfolgt unter lokaler Betäubung. Über einen schlitzförmigen Schnitt auf der Unterlippen-Innenseite werden kleine Speicheldrüsen sichtbar gemacht und entnommen. Die Wunde wird mit einer Naht verschlossen. In der Regel verläuft die Operation schnell und ohne Komplikationen. Sehr selten wird eine geringe bleibende Gefühlstörung an der Entnahmestelle beklagt.
 

Schwellung der großen Kopfspeicheldrüsen

Zu den sechs großen Kopfspeicheldrüsen zählen die paarig angelegte Ohrspeicheldrüse, die Unterkieferspeicheldrüse und die Unterzungenspeicheldrüse. Die chronische Autoimmunerkrankung der großen Kopfspeicheldrüsen führt zu einer Schwellung der Drüsen, am besten sichtbar an der vor dem Ohr gelegenen Ohrspeicheldrüse. Die Schwellung ist dauerhaft; selten ist ein Wechsel von Anschwellen und Abschwellen zu beobachten. Bei der HNO-ärztlichen Untersuchung wird der HNO-Arzt die Schwellung der Kopfspeicheldrüsen feststellen. Eine Ultraschalluntersuchung wird dem HNO-Arzt zeigen, dass die betroffenen Drüsen insgesamt geschwollen sind und nicht nur ein Teil der einzelnen Drüse. Dies ist wichtig für die Abgrenzung anderer Erkrankungen der Speicheldrüsen. Die Ultraschalluntersuchung kann in der Drüse bei Sjögren-Syndrom häufig typische Veränderungen der Erkrankung nachweisen.
In Zweifelsfällen kann auch eine Feinnadel- Punktionszytologie aus einer betroffenen Drüse zur Abgrenzung anderer Erkrankungen sinnvoll sein. Hierbei punktiert der HNO-Arzt, möglicherweise ultraschallgesteuert, den auffälligen Befund. Ein Zytopathologe nimmt dann eine Untersuchung der aspirierten Zellen vor. Die Untersuchung ist im Regelfall schmerz- und komplikationsarm. In Einzelfällen kann es sinnvoll sein zusätzlich eine Kernspintomographie oder Sialo-Kernspintomographie speziell zur Darstellung des Gangsystems der Kopfspeicheldrüsen vorzunehmen.
 

Wiederholte akute Entzündung der großen Kopfspeicheldrüsen, vorrangig der Ohrspeicheldrüse

Die zunehmende Verminderung der Speichelproduktion erhöht das Risiko für eine bakterielle Infektion der betroffenen Speicheldrüse. Die Bakterien können über das Speichelgangsystem von der Mundhöhle aus in die Speicheldrüsen eindringen und führen zu einer eitrigen schmerzhaften Entzündung der Drüse. Die Haut über der betroffenen Drüse kann gerötet sein; der Patient kann Fieber entwickeln. Eine antibiotische Behandlung der Entzündung wird erforderlich. Manchmal treten diese unangenehmen Entzündung in sehr kurzen Intervallen auf oder es kommt zu einer Eiterabkapselung in einer Drüse (Abszess-Bildung). Eine Abszess-Bildung macht in den meisten Fällen eine operative Eröffnung erforderlich. Ansonsten heilt der Abszess nicht ab. Bei sich wiederholender starker Entzündung oder Abszessbildung kann es notwendig werden die betroffene Drüse komplett zu entfernen um eine endgültige Heilung zu erzielen.
 

Das Non-Hodgkin-Lymphom in den großen Kopfspeicheldrüsen

Das Risiko ein Non-Hodgkin-Lymphom, also eine Form eines Lymphdrüsenkrebses, in den Kopfspeicheldrüsen oder anderen Körperstellen zu entwickeln, ist bei Patienten deutlich erhöht. Insbesondere wenn es zu anhaltenden Lymphknotenschwellung innerhalb der Ohrspeicheldrüsen oder um die Unterkieferspeicheldrüsen und Unterzungendrüsen gekommen ist, muss ein solches Lymphom ausgeschlossen werden. Auch Veränderungen im Blut können den Verdacht aufkommen lassen. Auch durch die Entzündung der Drüsen selbst oder durch wiederholte bakterielle Entzündungen der Drüsen kann es zu Lymphknotenschwellungen kommen. Die Abgrenzung der Ursache, Entzündung oder Lymphom, kann schwierig sein. Die Feinnadel- Punktionszytologie lässt eine Abgrenzung häufig nicht zu. In der Regel ist eine diagnostische Lymphknotenentfernung in Vollnarkose notwendig, um die Diagnose eines Non-Hodgkin-Lymphoms in den Speicheldrüsen zu sichern oder auszuschließen. Dieser Eingriff sollte von einem HNO-Arzt vorgenommen werden, der mit der Chirurgie der Kopfspeicheldrüsen vertraut ist, damit es bei dem Eingriff nicht zu Komplikationen wie einer Verletzung des Gesichtsnervs oder einer Speichelfistel kommt. In einem sehr frühen Stadium der Erkrankung kann die komplette Entfernung der betroffenen Drüse eventuell als Behandlung ausreichend sein.
 

Die Entfernung der Ohrspeicheldrüse bei Patienten mit Sjögren-Syndrom
 

Aufgrund der chronisch-entzündlichen Veränderung der Kopfspeicheldrüsen ist die Entfernung einer betroffenen Drüse prinzipiell schwieriger als bei anderen Erkrankungen der Drüse, da es durch die Entzündungen zu starken narbigen Verwachsungen in der Drüse und um die Drüse kommt. Besonders schwerwiegend ist dies bei der Ohrspeicheldrüse, da der Gesichtsnerv mitten durch die Drüse hindurch zieht. Es ist bei Patienten mit Sjögren-Syndrom schwierig die feinen Nervenäste in der Ohrspeicheldrüse selbst unter dem Operationsmikroskop zu identifizieren und zu schonen, da sie mit der Umgebung, dem veränderten Speicheldrüsengewebe regelrecht verwachsen sind. Noch schwieriger ist die Situation, wenn bakterielle Entzündungen, eine Abszessbildung oder die Entwicklung eines Lymphoms hinzukommt. Daher geht die Operation der Ohrspeicheldrüse bei Sjögren-Syndrom mit einem deutlich erhöhten Risiko einer Verletzung des Gesichtsnervs einher. Daher sollte eine Entfernung der Ohrspeicheldrüse genau abgewogen werden und von einem in der Speicheldrüsenchirurgie sehr erfahrenen HNO-Chirurg vorgenommen werden.