Erfahrungsbericht  eines Betroffenen mit Malt-Lymphom (54jährig), 2007

15. September 2007, PatientenInnenseminar anlässlich des Weltlymphomtags: Ich höre unter anderem einen Vortrag "meines" behandelnden HämatoOnkologen, Prof. Markus Raderer, schwerpunktmäßig am AKH-Wien für extranodale Lymphome zuständig, über "meine" Grundkrankheit - das MALT-Lymphom (MALT = MUCOSA ASSOCIATED LYMPHATIC TISSUE). Prof. Raderer referiert den aktuellen Stand der medizinischen Forschung, es gibt anschließend ausführlich Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Ich muss daran denken, wie und wann "alles" bei mir begonnen hat, damals vor etwa 15 Jahren...

Nein, es war noch früher, denn schon einige Jahre vor dem "Akutwerden" der Erkrankung spürte ich, dass Atemwegsinfekte, wenn auch meist ohne Fieber, länger und anstrengender verliefen, meine Verdauung Schwierigkeiten machte, ich mich besonders bei unangenehmen Wetterlagen geschwächt fühlte. Diverse Untersuchungen bei Allgemeinmedizinern (Diff.Blutbild), Internisten (Röntgen der Lunge und des Darms mit Kontrasteinlauf, Blutbild) erbrachten kaum Auffälliges.

Nach einem grippalen Infekt im Februar 1992 und kurz danach angetretenem Winterurlaub in den Salzburger Bergen, fühlte ich mich gesundheitlich schlechter als je zuvor. Meine Allgemeinmedizinerin konnte aber weder durch Abhorchen der Lunge, noch am Blutbild Schlimmes erkennen (eine leicht erhöhte Blutsenkung ausgenommen), so ging ich weiter arbeiten - ich war damals Kinderbibliothekar an der Univ. Kinderklinik Wien - fühlte mich aber laufend schwächer, müder. Aber kein Fieber, kein Nachtschweiß. Schließlich veranlasste ein befreundeter Arzt an der Univ. Kinderklinik ein screening (Blutbild, Harntest und, weil ich ein wenig hüstelte, ein Lungenröntgen). Harnbefund negativ, Blutbild unauffällig, allerdings erhöhte Blutsenkung, im Röntgen der Lunge eine Verschattung im linken Unterlappen, die auf eine durchgemachte Pneumonie hinwies. Die verordneten Antibiotika erbrachten keine Veränderung des Röntgenbefundes, nach einer CT wurde ich bei einem niedergelassenen Lungenfacharzt vorstellig. Umstellung auf andere Antibiotika, keine Verbesserung, Bronchoskopie im AKH: Ergebnis: kein Tumor, kein Fremdkörper, Schleimhaut sehr vulnerabel.

Also "Abwarten und Teetrinken", ein Erholungsaufenthalt im Haus "Raxblick", im Herbst Röntgenkontrolle. Diese ergab eine leichte Verdichtung der alten Verschattung durch einen jahreszeitlich bedingten Infekt, ich bekam aber keine Antibiotika verordnet.

Nach diversen Schwierigkeiten im privaten Bereich, ich lebte kurzzeitig von meiner Frau und Kind getrennt, entwickelte ich eine akute abszedierende Pneumonie beidseitig mit sehr hohem Fieber. Der Röntgenbefund der Lunge hatte sich drastisch verschlechtert. Neuerlich Antibiotika und nach einer Stabilisierung eine Lungenteilresektion am linken Unterlappen, auch zur Diagnoseerstellung.

Die histologische Erstdiagnose lautete niedrig malignes b-zelliges NHL oder Immunozytom. Das war im Februar 1993.

Ich erfuhr bei Oberarzt Dr. Jäger an der Hämatologie des AKH, dass diese Art niedrig maligner Lymphome zwar grundsätzlich eine gute Prognose hat, aber schwierig zu behandeln ist. Nach dem hämatolog. "staging" inkl. Beckenkamm-Biopsie (KM, gottseidank, nicht infiltriert) vereinbarten wir eine "wait and see-Haltung" mit regelmäßigen Blutkontrollen und Kontrollen beim Lungenfacharzt.

Im Herbst 1993 entschloss man sich, eine Stammzellenpherese nach vorheriger einmaliger Gabe von 5g Endoxan durchzuführen, um für eine allfällig später einmal nötige autologe Stammzellen-Transplantation gerüstet zu sein. Abgesehen von einem akuten hohen Fieber verlief der stationäre Aufenthalt von 10 Tagen unproblematisch und die Stammzellenpherese erfolgreich. Ich verlor allerdings zum bisher einzigen Mal in meiner "Krankheitskarriere" meine Kopfhaare, erinnere mich, dass weder ich noch meine Familie darauf vorbereitet waren, meine damals 10-jährige Tochter, als sie mich von der Volksschule heimkehrend mit Vollglatze erblickte, in Tränen ausbrach.

Ich versuchte mich in der Folge langsam wieder von den Belastungen zu erholen. 1994 wurde allerdings nach Röntgenbefund erneut Verdacht auf Rezidiv an der Lunge geäußert. In der Situation beschloss ich gemeinsam mit meinem Lungenfacharzt und meinem Allgemeinmediziner eine komplementärmedizinische Behandlung zu beginnen und zwar mit Mistel-, Thymus- und Vitamin B-Injektionen, welche ich etwa ein dreiviertel Jahr lang erhielt. Die regelmäßigen Blut- und CT-Kontrollen blieben selbstverständlich aufrecht. Tatsächlich verbesserte sich in der Zeit mein wichtigster Tumormarker (IgM) von vorher zwischen 1200 bis 1400auf knapp unter 1000 (allerdings gemessen in einem anderen Labor). Trotzdem kam es im Frühjahr 1995 zu einer massiven Bronchitis und da das CT auch eine Verschlechterung des Befundes erbrachte, riet mir Prof. Jäger, nach einer neuerlichen Bronchoskopie mit ähnlichem Ergebnis wie früher, zu einer lokalen Strahlentherapie an der Lunge. Das war im Sommer bis Herbst 1995.

Rückblickend bin ich noch immer erstaunt über die massive Dynamik der Erkrankung in den ersten zwei, drei Jahren im Bereich der Lunge. Aus einer massiven Angst, nicht mehr lange zu leben (ich hatte seit meiner ersten Chemo auch regelmäßige psychoonkologische Begleitung durch eine systemisch arbeitende Psychotherapeutin), beantragte ich bei meinem Dienstgeber, der Gemeinde Wien, die Frühpensionierung krankheitshalber und wurde Hausmann. Ich wollte mich einerseits schonen, andererseits mehr von meiner Familie haben, solange das möglich war.

Nach der recht gut vertragenen Strahlentherapie war eine Weile Ruhe, ich absolvierte regelmäßig die nötigen Kontrollen.

1996 ging meine Ehe nach 17 Jahren allerdings endgültig in die Brüche, ich musste mir eine neue Bleibe suchen, versuchte, so gut es ging, einvernehmliche Lösungen für Scheidung und Sorge-/Besuchsrecht des Kindes zu erwirken. Außerdem inskribierte ich wieder an der Uni, begann einen Kurs an der Schreibwerkstatt Stöbergasse, nahm an Gemeinschafts-Dichterlesungen teil, gönnte mir Urlaube, versuchte neue Beziehungen aufzubauen, Freundschaften zu pflegen. Die Beziehung zu meiner Tochter, die 2001 maturierte und ein Philosophiestudium begann, war ursprünglich sehr gut, entwickelte sich aber problematisch, da ich ihr Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit, Familie (sie hatte massive Konflikte mit ihrer Mutter durch die Scheidungsschwierigkeiten, entwickelte eine Essstörung) nicht ausreichend wahrgenommen hatte.

1998 war bei bei mir erneut ein Rezidiv an der Lunge durch eine explorative Teilresektion diagnostiziert worden. Diesmal lautete der histologische Befund niedrig malignes MALT- oder BALT-Lymphom (Bronchus associated...). Trotzdem verblieb ich mit Prof. Jäger in dem Sinne, vorläufig ein abwartendes Verhalten mit engmaschigen Kontrollen einzunehmen.

Schließlich 2004 eine neuerliche schlechte Überraschung: das Lymphom hatte auch Speicheldrüsen und Augen befallen! Ich hatte sozusagen "unauffällig daherkommend" "Hamsterbacken" entwickelt und bei den Augen Tumoren bekommen. Der Schock war gewaltig! Bisher war ich davon ausgegangen, dass die Krankheit "nur" auf meine Lunge begrenzt war, ich "nur" auf meine Lunge achtgeben musste. Das "restaging" ergab, dass auch mein Magen befallen war, jedoch kein Nachweis von Helicobacter pylori. Die Histologie der Speicheldrüsen nach einer Mini-OP sowie an der Magenschleimhaut (Gastroskopie) ergab eindeutig ein Rezidiv des bekannten MALT. Außerdem wurde durch Ultraschalluntersuchung der Speicheldrüsen Verdacht auf Vorhandensein des SJÖGREN-Syndroms gestellt (eine sog. Autoimmunerkrankung: gilt als eine von mehreren möglichen Verursachern des MALT-Lymphoms). Mein Knochenmark erwies sich nach Biopsie wieder als o.k..

In der Folge wurde ich am AKH an Prof. Raderer "übergeben", der mich bereits von meinem stationären Klinikaufenthalt 1998 her kannte. Ich erhielt Sommer bis Herbst 2004 eine Oxaliplatin-mono-Therapie, die vor allem meine chronischen Bauchbeschwerden (Durchfälle, Gewichtsabnahme) sehr gut beseitigten. Der Erfolg im Gesicht war allerdings mäßig, sodass zuletzt 2006/2007 eine Behandlung mit Bortezomib (Velcade) erfolgte (beide Therapien im Rahmen von Phase II-Studien).

Das ist medizinisch mein Ist-Zustand! Der Tumormarker leider nach wie vor unerfreulich hoch (IgM über 3000), allerdings derzeit stabil. Die Veränderungen im Gesicht etwas besser geworden, bei Atemwegsinfekten muss ich, um einer Verschlechterung im Lungenbereich vorzubeugen immer aufpassen. Begleitend erhalte ich an der Onkologie-Ambulanz eine homöopathische Behandlung bei Prof. Frass mit Sulfur-Q-Potenzen. Und gehe natürlich weiterhin regelmäßig (derzeit etwa alle 3 Monate) zu Blut- und CT-Kontrollen.

Wenn ich die lange Zeit eines eher chronischen Krankheitsverlaufes bewerten soll: ist es eine Leidens-, eine Erfolgsgeschichte? Vermutlich beides, erstens kommt es immer darauf an, was man daraus macht und zweitens haben viele LymphompatientenInnen eine schlechtere Prognose, mehr zu leiden. Laut Prof. Raderer ist die Prognose beim MALT-Lymphom sehr gut, das Krankheitsbild erfordert aber ein auf jede/n PatientenIn abgestimmtes "individuelles Design" von genauer Diagnose, Kontrollen und einer Balance von Abwarten und Eingreifen durch angemessene Therapie, sobald erforderlich.

POSTSCRIPTUM: 2 Nachbemerkungen:

 

1.) Zum SJÖGREN-Syndrom: Es gibt zu diesem möglichen Auslöser des MALT seit dem Jahr 2000 eine sehr aktive Selbsthilfegruppe in Deutschland, die jährliche PatientenInnen-Seminare abhält ("Dt.Sjögren-Tag"). Der nächste ist am 8. März 2008 im Rheumazentrum am Univ.klinikum Leipzig. Nähere Informationen unter der HP www.sjoegren-erkrankung.de.

2.) Ich erlaube mir eine persönliche "Spekulation" zur Ätiologie "meiner" Erkrankung (SJÖGREN plus MALT) und stelle sie einfach zur Diskussion: Ich wurde 1959, im Alter von sechs Jahren, in drei Teilimpfungen gegen Polio geimpft, vermutlich mit dem sogenannten "Salk-Impfstoff" (im März, April und November), der laut einem Lancet-Bericht durch ein Affenvirus verunreinigt war (Lancet, Vol. 359, S.851, Science online, jl, Studie der University of Texas, Dallas). Zwischen der zweiten und dritten Teilimpfung wurde ich zusätzlich einer operativen Entfernung der Tonsillen (Rachenmandeln) und lymphatischen Gewebes in der Nase (sog. Polypen) unterzogen. Mein subjektiver Verdacht richtet sich gegen die Kombination dieser beiden medizinischen Eingriffe...

(Verfasser dem Administrator bekannt)