Erfahrungen einer Betroffenen
 
Ich stehe hier, um Ihnen über mein Leben mit dem Sjögren-Syndrom zu berichten.

Da bei mir am Nachmittag die Kräfte nachlassen, bitte ich um Verständnis, dass ich meinen Beitrag ablese und auch öfters etwas trinken muss.

Als ich 40 Jahre alt wurde, merkte ich deutliche Verminderungen meiner Leistungsfähigkeit.

Außerdem wurden meine Augen sehr trocken, ich spürte oft das berühmte Sandkorngefühl, und mein Mund hatte oft keinen Speichel mehr..

Dem Zahnarzt fiel auf, dass meine Zähne sehr bröselten, und ich musste häufig zur Behandlung kommen.Ich spürte ganz deutlich, dass mit mir etwas nicht in Ordnung war.

Als die Leistungsschwäche immer größer wurde und mein Hausarzt diese Symptome nicht mehr den Wechseljahren zuordnen wollte, kam ich in ein Krankenhaus.


Nach 2 Wochen hatten meine Symptome endlich einen Namen, und der hieß Sjögren-Syndrom. Was für ein Name! Und was sollte ich mir darunter vorstellen?

Beim Abschlussgespräch beruhigte der Arzt mich und meinte, dass ich damit sehr alt werden könnte. Er riet zu mehr Ruhe, damit ich mein außer Kontrolle geratenes Immunsystem nicht aufheizen sollte.

Außerdem sollte ich regelmäßig zum Hausarzt gehen. Der würde dann schon an meinem Blut sehen, dass alles in Ordnung wäre, - oder auch nicht.

Ich wollte mich nicht unterkriegen lassen, aber die Angst nahm zu und wurde mein ständiger Begleiter.

Mein Leben änderte sich durch die häufige extreme Abgeschlagenheit mehr und mehr. Gegen Mittag verlor ich meine Kraft immer so sehr, als ob man in einem Zimmer das Licht ausschaltet. Ich war
gezwungen, darauf Rücksicht zu nehmen, und das hatte zur Folge, dass ich häufig private Termine absagen musste. Denn ich wollte meine Kräfte für meinen Beruf behalten.

Ich nahm zu dieser Zeit noch keine Medikamente, die - wie z. B. Cortison - mich hätten puschen können. Es war schwer für mich, auch in meiner großen Familie "Nein" zu sagen, wenn meine Kräfte nachließen, denn ich war für sie doch immer ein Energiebündel gewesen. Nun musste ich auch hier Pausen einplanen und einhalten. Ich musste meine Familie stärker in die Hausarbeit einbeziehen, und das war nicht leicht!

Ich versuchte, meine Mitmenschen möglichst gut über meine Leistungsschwäche aufzuklären, aber das war nicht so einfach, denn an meinem Äußeren war ja nichts Krankes zu sehen. Und noch keiner von ihnen hatte je etwas von einem Sjögren-Syndrom gehört.

Es kamen nun auch noch Gelenkschmerzen und eine Gangunsicherheit dazu.Ich ging in ein anthroposophischen Krankenhaus, und dort stellte man zusätzlich eine Polyneuropathie und eine Nierenbeteiligung fest.

Ich musste meinen Beruf aufgeben, denn ein 9-Stunden-Tag war nicht mehr zu schaffen.Mein Selbstwertgefühl drohte zu schwinden, und ich musste zu Hause einen Weg finden, um nicht in eine Isolation zu kommen.


Nun wollte ich aber mehr wissen über diese Krankheit.

Ich suchte den Austausch mit anderen Betroffenen.

Gab es denn welche?

Ich wurde Mitglied in der Deutschen Rheuma-Liga, musste aber feststellen, dass in deren Publikationen kaum etwas über das Sjögren-Syndrom zu finden war. Also ging ich auf Anraten einer Bekannten erst mal zu den Lupus-Betroffenen und las in deren Heften viel über Autoimmunkrankheiten.

In unserer und meiner Sache kam dann im Jahre 1999 der große Durchbruch.

Auf eine Kontaktanzeige von Frau Johanna Götzinger in der "mobil" gründeten 20 Betroffene das Selbsthilfe-Netzwerk Sjögren-Syndrom.

Jetzt hatte ich den Austausch mit anderen Betroffenen, die nur zu gut verstehen konnten, dass man keine Zicke ist, wenn man müde oder gereizt ist, und dass solche Stimmungen bei uns krankheitsbedingt sind. Wir fanden endlich auch zunehmend mehr und mehr Ärzte, die unser Krankheitsbild kannten und uns ernstnahmen und halfen.

Das war dann vor allem Herr Dr. Tomiak, der einen Ratgeber für Sjögren-Betroffene schrieb. Durch meine besseren Kenntnisse um die Krankheit verlor ich auch die Angst vor ihr, und ich las in einem Heft einer Selbsthilfegruppe:


Nur eine informierte Patientin kann auch eine aktive Patientin sein, und so haben wir Betroffene uns geholfen und helfen den neuen Betroffenen, die uns ansprechen.

Ich kam durch den Austausch mit anderen Betroffenen auch zu einer Erkenntnis, die sich als außerordentlich wichtig für die bessere Bewältigung meiner Krankheit und damit für mein tägliches Leben und meine ganze Lebensgestaltung erwies:

Ich fing an zu lernen, dass es gut ist, sich selbst zu organisieren und den eigenen Lebensbereich besser zu planen.

Zu meiner sehr wichtigen Selbst-Organisation gehörte, dass ich meine Arztbesuche mit den Vorsorgeuntersuchungen in einem Ordner ordnete und die einzelnen Berichte der Fachärzte wie z. B.

Rheumatologe,
Augenarzt,
Zahnarzt,
HNO-Arzt,
Nephrologe,
Frauenarzt,
Endokrinologe

sorgsam abheftete und sorgfältig verwaltete.


Es stellte sich bei meinen weiteren Arztbesuchen bis heute als sehr hilfreich heraus, dass ich immer alle Unterlagen mit den Berichten vorlegen kann.So wurde ich meine eigene Managerin und konnte überflüssige Doppel-Untersuchungen vermeiden.

Ich schrieb mir folgende Erkenntnisse auf, die vielleicht auch für Sie Leitsätze sein können:

Ich habe gelernt, Stress zu vermeiden durch regelmäßigen Tages- und Wochenablauf.

Ich habe aber auch gelernt, ohne schlechtes Gewissen den Tages- oder Wochenarbeitsplan umzuwerfen, wenn es denn sein muss.

Ich habe gelernt, mich bei Veranstaltungen oder Einladungen einfach mal kurz auszuklinken, um für mich allein zu sein.

Ich habe gelernt, freundlich aber bestimmt "Nein" zu sagen und Anforderungen abzulehnen, wenn die Kraft mich verlässt.

Ich habe gelernt, jeden Mittag zu ruhen.

Ich habe aber auch gelernt, dabei nicht träge und nachlässig zu werden, sondern mich fit zu halten, z. B. mit regelmäßigem Heim-Trainer und Nordic-Walking.

Ich habe gelernt, mehr auf meinen Körper zu achten. Ich nehme seine Signale ernst.

Ich habe gelernt, meine Grenzen anzunehmen und versuche nicht, die Kraftlosigkeit z. B. mit Kaffee aufzuputschen

Ich habe gelernt, dass ich Medikamente einnehmen muss, um meinen Krankheitsverlauf zu steuern.

Das sind:5 oder 2,5 mg Decortin, - ich darf je nach Verfassung des letzten Tages in Absprache mit meinem Rheumatologen ein bisschen variieren;600mg Calcium;500 I.E. Vitamin D;5 mg Salagen, - und dies dann noch 2 weitere Male am Tage;Ich nehme aber nur so viele und nur so starke ein, dass ich nicht mit Kanonen auf Spatzen schieße.Ich habe gelernt, dass psychische Veränderungen mit der

Krankheit zu tun haben, und ich weiß deshalb, dass mein angeschlagenes Selbstwertgefühl immer wieder Stärkung braucht.Ich lasse mir hier Zeit und nehme erst danach meine Morgen-Medikamente. ein. Danach genieße ich das von meinem Mann vorbereitete Frühstück mit ihm in fast vollkommener Ruhe. Die Tageszeitung versuche ich korrekt zu lesen, aber mein Kopf ist meist zu diesem Zeitpunkt noch nicht so klar.

Ca. 1 Stunde nach dem Aufstehen werde ich aktiv und leistungsstark. Dann beginnt meine wirkliche Arbeitszeit. Ich erledige in der Zeit zwischen acht und halb zwölf meine wichtigsten und anstrengendesten Arbeiten, wie:

Haushalt oder Garten, Einkäufe in der Stadt, Arztbesuche.

Etwa um halb zwölf weicht dann meine Kraft von jetzt auf gleich. Ich knicke mit meinen Knien ein, fange an, ein wenig zu torkeln, lasse Dinge fallen, stoße mit der Schulter am Türrahmen an oder, oder ..

Ich esse fast pünktlich um zwölf, und danach lege ich mich für 1 Stunde ins Bett. Wenn mein Vormittag nicht zu stressig war und auch die Tage davor, dann schlafe ich tief und fest ein. Danach trinke ich Tee und kann mich nun nochmals für zwei Stunden belasten.
Der zweite große Leistungsabfall kommt dann zwischen fünf und sechs Uhr. Wenn ich des Abends einen Termin habe, Einladung, Theater oder Kino, dann ruhe ich nochmals eine dreiviertel STunde, damit ich am Abend fit bin und ohne große Schwierigkeiten durchhalte.

Des Abends gegen 22.00 Uhr bin ich dann eigentlich recht munter und ich muss mich oft zum Schlafengehen zwingen. Zu dieser Zeit bekomme ich fast regelmäßig Schmerzen an den Hals- und Kopfdrüsen und in den Ohrgängen. Deshalb ist mein ständiger Begleiter beim Zubettgehen das angewärmte Körnerkissen, welches bei mir gegen diese Beschwerden wahre Wunder wirkt. Meine Augen verwöhne ich vor dem Einschlafen und evtl. auch in der Nacht mit heißen Kompressen.
Was wichtig wäre, aber nicht immer einzuhalten, ist eine feste Zeit fürs zu Bett gehen.

Gleich nach dem Abendbrot nehme ich das Mittel Gabapentin 800mg ein, denn dies macht mich nach wenigen Stunden müde und lässt mich einigermaßen schlafen, wenn kein Vollmond ist. Wenn ich trotz alledem des Nachts mit unruhigen oder schmerzenden Beinen aufwache, und das tue ich ganz schön häufig, dann helfe ich mir mit kalten Güssen nach Pfarrer Kneipp. Ich habe natürlich, wie bestimmt fast alle hier, an meinem Bett meine Wasserflaschen, meine Augentropfen, meine Augensalbe und - wenn es ganz schwer mit dem Wiedereinschlafen - meine Banane. 
Ich denke, dass ich mich insgesamt ganz gut auf meine Krankheits-Bedingungen eingerichtet habe.

Ich habe nur noch so große Handtaschen, in die meine Wasserflasche reinpasst. (zum Beispiel auch bei Theater-Besuchen).
In jeder Tasche sind auch:
Sauere Bonbons oder Emser-Salz-Bonbons,
Augentropfen und Salagen,
und Kleinpackungen Aldiamed.

Ich nehme inzwischen meine Beschwerden nicht mehr ganz so ernst und werde uch nicht mehr so unruhig, wenn mir zum Beispiel beim Aufwachen die Achillessehne schmerzt, oder mein kleines Fingergelenk, oder mein rechtes Knie. Ich weiß, dass nach zwei Tagen meine Gelenkbeschwerden bestimmt wo anders hinwandern oder auch vielleicht für ein paar wochen ganz weg sind.

Vor allem habe ich gelernt, dass es gut ist, wenn ich möglichst viel über die Krankheit weiß, damit ich bei solchen Symptromen nicht gleich in Panik gerate und meine Ruhe bewahren kann.

Denn die Krankheit darf mich nicht so beherrschen, das ich keine Freude mehr am Alltag habe.

Sie ist zwar Bestandteil meines Lebens, und sie kann auch nach dem heutigen Wissenstands nicht geheilt werden, aber ich habe meinen Weg gefunden, mit ihr zu leben.

Deshalb mache ich heute mehr Dinge als früher, die mir gut tun und die mich stabilisieren. Dazu gehört bei mir vor allen Dingen Yoga. Das hat mir geholfen, meine innere Mitte zu finden und zu bewahren.

Ich weiß um alle meine Einschränkungen und veränderten Lebensbedingungen. Aber gerade weil ich um sie weiß, habe ich gelernt und mir vorgenommen, dennoch weiterhin lustvoll zu leben!

Marlies Thermann